Insulinresistenz

Insulin benötigt man (unter anderem), um die verdauten, schließlich resorbierten und anschließend im Blut kreisenden Nährstoffe in die Zellen der verschiedenen Zielgewebe transportieren zu können. Der größte Kalorienanteil unserer westlichen Standardkost stammt aus Kohlenhydraten. Nach einer Mahlzeit ist die Skelettmuskulatur normalerweise der größte Abnehmer dafür. Die Muskelzellen können 300, 400 oder bei gut Trainierten sogar 500 Gramm Glukose aufnehmen und als Glykogen einspeichern. Die Leber schafft ebenfalls 80 bis 100 Gramm.

Herrscht bei den Zellen Insulinresistenz, kann zwar die Leber zunächst noch insulinunabhängig Glukose aus dem Blut aufnehmen, nicht jedoch die Muskel- und Fettzellen, da ihre Wahrnehmung des Insulinsignals gehemmt ist. Rezeptoren melden diese Fehlleistung an das Zentralnervensystem. Das reagiert sofort und sendet über Nervenbahnen den Befehl an die Bauchspeicheldrüse, schleunigst noch mehr Insulin zu produzieren und in den Blutkreislauf auszuschütten. Mit dem erhöhten Insulinangebot an den Zielgeweben lässt sich schließlich die Insulinresistenz durchbrechen. Dieser Kompensationsmechanismus geht viele Jahre lang gut.

Insulinresistenz bedingt folglich immer ungewöhnlich hohe Insulinkonzentrationen nach einer gemischten Mahlzeit. Das wird als (kompensatorische) Hyperinsulinämie (wörtlich »zu viel Insulin im Blut«) bezeichnet. Dank dieser stark erhöhten Insulinkonzentration wird die Glukose während der ersten zwei oder drei Stunden nach einer Mahlzeit aus dem Blut in die Zellen geschleust, sodass im Blut letztlich auch immer normale Glukosekonzentrationen vorliegen.

Es gilt dabei: Je insulinresistenter eine Person im Laufe der Jahre wird, desto mehr Insulin wird benötigt, um die gleiche Menge Glukose aus dem Blut in die Zellen zu schleusen. So kann ein Betroffener nach einer Mahlzeit die fünf- oder zehnfache Insulinmenge im Blut haben, ohne dass er das bemerkt. Auf diese Weise wird nach dem Essen über Stunden eine normale Blutzuckerkonzentration gewährleistet.

In diesem Zustand wird der Arzt nach einer testweisen Zuckergabe keine abnormen Blutzuckerwerte entdecken können. Die werden erst dann festgestellt, wenn die Bauchspeicheldrüse die hohen Anforderungen nicht mehr erfüllen kann. Wenn ihre insulinproduzierenden β-Zellen geschädigt sind oder gar vom Körper bereits abgebaut werden, kann die erforderliche Insulinmenge nicht mehr hergestellt werden, die den Zucker vollständig aus dem Blut in die Gewebe schleust.

Ganz konkret: Wenn nach jahrelanger Insulinresistenz die Bauchspeicheldrüse nach einer Mahlzeit nicht mehr – wie bis dahin üblich – eine beispielsweise achtfache Überdosis Insulin zur Verfügung stellt, sondern nur noch die siebenfache Menge schafft, dann wird in den Stunden nach dem Essen eine übernormal hohe Blutzuckerkonzentration messbar sein. Diesen Zustand nennt man »gestörte Glukosetoleranz«. Damit ist man auf dem direkten Weg zum Diabetes. Man nennt dieses Stadium deshalb auch »Prädiabetes«. Beim Arzt lässt sich ein entsprechender Test auf Prädiabetes oder Diabetes unter standardisierten Bedingungen durchführen.

Wenn man bei gestörter Glukosetoleranz nicht die Ursachen der Störung beseitigt – jene Lebensstilaspekte, die eine Insulinresistenz ausprägen –, wird die Bauchspeicheldrüse immer weiter ins Versagen getrieben. Mit der Zeit können immer weniger β-Zellen den hohen Anforderungen genügen, werden geschädigt und zerstören sich selbst. Wenn schließlich nach dem Essen nur noch eine zwei- oder dreifach überhöhte Menge Insulin ins Blut gelangt, wird der Zucker nicht mehr in die Zielgewebe geschleust. Dann werden eine Stunde nach dem Essen sehr hohe Blutzuckerkonzentrationen die Folge sein, und selbst nach ein paar Stunden wird immer noch viel Glukose um Blut verbleiben – ein Risiko, denn hohe Blutzuckerkonzentrationen schädigen die Blutgefäße.

Vor diesem Hintergrund wurde die Diabetesdiagnose festgelegt: Wenn zwei Stunden nach einer Gabe von 75 Gramm Traubenzucker die Blutzuckerkonzentration über 200 Milligramm pro 100 Milliliter Blut liegt, dann hat man die volle Diabetesschwelle erreicht beziehungsweise überschritten. Damit ist man offiziell Typ-2-Diabetiker. Das bedeutet, dass die meisten zum Diabetiker werden, obwohl sie im Grunde noch viel eigenes Insulin produzieren und ins Blut abgeben.

Wenn aber die verbleibenden β-Zellen noch fähig sind, die doppelte Menge Insulin zu produzieren, die einem schlanken, sportlichen, insulinsensitiven Menschen nach einer Mahlzeit genügen, um normale Blutzuckerwerte zu erreichen, könnte man sich als Betroffener die Frage stellen: Was muss ich essen, damit meine verbliebene β-Zell-Kapazität ausreicht, den Zucker zügig aus dem Blut zu schleusen?

Da der Zucker im Blut nach dem Essen zum Großteil aus dem Zucker und der Stärke der Nahrung stammt, sollte es für die Betroffenen nicht allzu schwierig sein, sich die schlüssige Antwort zu überlegen – Beschränkung der Kohlenhydrataufnahme! Mit einer entsprechenden Ernährungsumstellung wären sie dann keine »richtigen« Diabetiker mehr, weil sie die hohen Blutzuckerwerte nach dem Essen nicht erreichten. Damit würde auch der »Langzeitblutzuckerwert«, das »glykosilierte Hämoglobin« (HbA1c) nicht so hoch ausfallen, als würden sie eine zucker- und stärkereiche Kost genießen, für die eine beschränkte Insulinmenge nicht ausreicht. Schließlich wird man erst zum »insulinpflichtigen« Typ-2-Diabetiker, der auf externe Insulingaben angewiesen ist, wenn die β-Zell-Kapazität noch weiter sinkt oder wenn die Zellen ganz den Dienst versagen.

Diagnose der gestörten Glukosetoleranz und des Diabetes

Zur Diagnose einer gestörten Glukosetoleranz und des Diabetes setzt man unter anderem den sogenannten oralen Glukosetoleranztest (OGTT) ein. Zur Testung wird in Wasser gelöste Glukose verwendet, da sie die Zuckerform ist, die der Körper am schnellsten aufnehmen kann und die zu einem steilen Anstieg der Blutglukosekonzentration führt.

Der Test soll morgens am zuvor zehn Stunden nüchternen Patienten durchgeführt werden. Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, muss sich der Patient an den drei vorangegangenen Tagen mit mindestens 150 Gramm Kohlenhydraten pro Tag beziehungsweise wie bisher ernährt und keine Diätversuche unternommen haben, um ein günstigeres Ergebnis zu erhalten. Zudem darf keine fieberhafte Erkrankung vorliegen, und bei Patientinnen muss ein dreitägiger Abstand zur Menstruation eingehalten werden. Während des Tests darf der Patient nicht essen, nicht trinken, nicht rauchen und auch nicht körperlich aktiv sein. Niedergelassene Ärzte, die ihre Patienten im Zuge eines OGTT mit den Worten »Kommen Sie in einer Stunde wieder zur nächsten Blutentnahme« aus der Praxis entlassen, haben das Testprinzip nicht verstanden.

Zur Messung von Glukose und HbA1c dürfen nur standardisierte und qualitätsgesicherte Labormethoden zum Einsatz kommen. Handelsübliche Messgeräte sind aufgrund ihrer (zulässigen) Schwankungsbreite von bis zu 15 Prozent nicht geeignet.

Die Messung der Glukose sollte möglichst im venösen Plasma erfolgen.

Der Test läuft wie folgt ab:

  • ƒNüchterne Blutentnahme zur Nüchternglukosebestimmung.
  • ƒƒAnschließend werden 75 Gramm Glukose in 250 bis 300 Milliliter Wasser gelöst als Getränk zugeführt (bei Kindern 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht). Die Flüssigkeit muss innerhalb von fünf Minuten getrunken werden.
  • ƒDie Blutentnahme zur Glukosebestimmung erfolgt nach 60 und 120 Minuten.

Nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) liegt eine gestörte Glukosetoleranz (»Impaired Glucose Tolerance« beziehungsweise IGT) vor, wenn bei einem Nüchternblutzucker von unter 126 Milligramm pro 100 Milliliter der Zweistundenwert zwischen 126 und 200 Milligramm pro 100 Milliliter liegt.

Ein manifester Diabetes mellitus wird diagnostiziert, wenn entweder ein Gelegenheitsplasmaglukosewert von größer oder gleich 200 Milliliter pro 100 Milliliter (≥ 11,1 mmol/l) gefunden oder eine Nüchternplasmaglukose von größer oder gleich 126 Milliliter pro 100 Milliliter (≥ 7,0 mmol/l) gemessen wird oder wenn sich beim OGTT im venösen Plasma ein Zweistundenwert von größer oder gleich 200 Milligramm pro 100 Milliliter (≥ 11,1mmol/l) ergibt.1 Neu in dieser Leitlinie ist die Verwendung des HbA1c zur Diabetesdiagnose (siehe Stellungnahme auf der Internetseite der DDG). Dies wurde einerseits durch die internationale Standardisierung der Messmethode möglich. Andererseits haben epidemiologische Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt, dass die Spezifität eines HbA1c ≥ 6,5 Prozent (≥ 48 mmol/mol) groß genug ist, um die Diagnose Diabetes stellen zu können. Auch ist die Sensitivität eines HbA1c < 5,7 Prozent groß genug, um damit die Diagnose Diabetes auszuschließen. Bei Patienten mit einem HbA1c zwischen 5,7 und 6,4 Prozent empfehlen diese Leitlinien, die Diagnose des Diabetes und seiner Vorstadien durch Messung der Glukose nach herkömmlichen Kriterien zu stellen. [/av_textblock] [av_slideshow size='entry_with_sidebar' animation='slide' autoplay='false' interval='5' control_layout='av-control-default' av_uid='av-p5b5sv'] [av_slide slide_type='image' id='3221' video='http://' mobile_image='' video_ratio='16:9' title='' link_apply='' link='lightbox' link_target='' av_uid='av-o7e3gv'][/av_slide] [/av_slideshow] [av_textblock size='' font_color='' color='' admin_preview_bg='' av_uid='av-mfca7j'] Damit steht fest: Die eine Ursache des Typ-2-Diabetes ist die Insulinresistenz und die andere das β-Zell-Versagen – wobei ein krankhaft erhöhter Blutzuckerspiegel viele Jahre lang nicht wegen eines absoluten, sondern wegen eines relativen Insulinmangels auftritt! An dieser Stelle könnte man auch einmal darüber nachdenken, wie sinnvoll es sein mag, dass frisch diagnostizierten Diabetikern, die quasi noch im eigenen Insulin »schwimmen«, zusätzliche Insulininjektionen als »Therapie« angeboten werden. Nach dem Motto: Hauptsache der Zucker ist raus aus dem Blut! Zurück zur Insulinresistenz. Sie fordert die Bauchspeicheldrüse heraus. Die Hyperinsulinämie nach jeder Mahlzeit schleust den Zucker aus dem Blut. Die Blutzuckerkonzentration bleibt im Normbereich. Was man diesem »normalen« Blutzuckerwert jedoch nicht ansieht, das ist das Schicksal der Glukose: Sie ist raus aus dem Blut – aber wohin ist sie gelangt? In welchem Gewebe ist sie untergekommen? Normal und wünschenswert wäre, wenn der Großteil der Glukose als Glykogen in Muskeln und Leber landet. Ob das tatsächlich gelingt, weiß man aber nicht. Man spürt es nicht, und selbst der Arzt kann das an keinem Routinelaborwert erkennen. Aber ist das überhaupt relevant? Ja, es ist sogar verdammt wichtig! Es ist der eigentliche »Knackpunkt«: Denn Menschen mit Insulinresistenz schaffen es trotz ihrer hohen Insulinausschüttung nicht, die aus dem Blut abgezogene Glukose vollständig in den Muskel- und Leberzellen unterzubringen! Das heißt: Die Glukose kommt nur zum Teil am eigentlichen Zielgewebe an! Da Insulinresistenz einen Diabetes und noch weitere schwere Krankheiten nach sich ziehen kann, sollten wir rechtzeitig klären, ob wir noch insulinsensitiv oder vielleicht schon resistent sind. Das kann man relativ einfach austesten. Im Exkurs »Diagnose einer Insulinresistenz« wird das kurz dargestellt.

Diagnose einer Insulinresistenz

Es sind verschiedene Methoden zur Bestimmung der Insulinresistenz eingeführt worden. Als wissenschaftlicher Goldstandard gilt der sogenannte »euglykämisch-hyperinsulinämische Clamp-Test«. Er ist sehr kompliziert und wird primär in der klinischen Forschung, nicht aber in der ärztlichen Praxis eingesetzt. Immer mehr Präventivmediziner lassen hingegen bei einem oralen Glukosebelastungstest nicht nur den Zucker, sondern nach 30, 60, 90 und 120 Minuten auch die Insulinkonzentration im Blut bestimmen. Aus der Höhe und dem Verlauf der beiden Konzentrationskurven kann man die Insulinresistenz beurteilen.

Die einfachste und am häufigsten angewandte Methode ist aber die Bestimmung des Nüchterninsulins. Ein Wert über 15 μU/ml weist auf eine Insulinresistenz hin. Besser ist die Berechnung des HOMA-Index. Der HOMA-Index steht für »Homeostasis Model Assessment« und ist primär ein Ersatzparameter für die Insulinresistenz der Leber. Er beruht auf der Annahme, dass die Insulinabgabe nach zwölf Stunden Nahrungskarenz im Gleichgewicht ist. Neben dem Nüchterninsulinwert ist dafür noch der Nüchternblutzuckerwert zu bestimmen. Er verliert allerdings in fortgeschrittenen Stadien des Diabetes, wenn die ß-Zellfunktion schon stark eingeschränkt ist, seine Aussagekraft. In diesem Fall wird das intakte Pro-Insulin bestimmt.

Die Berechnung geschieht wie folgt:

HOMA = Glukose (mg/dl) · Insulin (μU/ml) / 405 oder

HOMA = Glukose (mmol/l) · Insulin (μU/ml) / 22,5

Das Ergebnis zeigt eine Korrelation mit dem euglykämischen Clamp von r = 0,88, liegt also recht hoch!

Zur Wertung des Ergebnisses dient dieses Schema:

≤ 1 = normal

> 2 = Hinweis auf eine Insulinresistenz

> 2,5 = Insulinresistenz sehr wahrscheinlich

> 5,0 = Durchschnittswert bei Typ-2-Diabetikern

Beispiele:

Nü-BZ = 90 mg/dl

Nü-Insulin = 4,5 μU/ml

HOMA = 90 · 4,5/405 = 1,0

Nü-BZ = 90 mg/dl

Nü-Insulin = 14 μU/ml

HOMA = 3,1

Nü-BZ = 105 mg/dl

Nü-Insulin = 20 μU/ml

HOMA = 5,2

Als noch einfacheres Maß für die Insulinresistenz und die mit ihr assoziierten Herz-Kreislauf-Risiken wird in jüngerer Zeit verstärkt der Triglyzerid-HDL-Cholesterin-Quotient vorgeschlagen. Wenn bei Frauen der Quotient über 2,5 und bei Männern über 3,5 liegt, kann man von einer signifikanten Insulinresistenz und einem markant erhöhten kardiometabolischen Risiko ausgehen.